Ausgerechnet während meiner ohrenbetäubensten Pubertät war ich mit meiner lieben Familie in dem Kulturschockerland China zwei einhalb Jahre als Diplomatensohn mit rotem Pass zu Gast. Während ich als Junge "uncooler" nicht sein konnte und meine Zeit mit Fantasybüchern, Computerspielen auf dem Commodore 64 und Pen & Paper Rollenspielen in Nerd-Kreisen verbrachte, hatte ich doch sehr nette Schulkollegen an der Deutschen Schule Peking, inklusive der ersten Verliebtheiten.
Wir wohnten also im 16. Stock in einem kakerlakenträchtigen sogenannten Compound, einem "Diplomatenghetto" und hatten ein Zimmermädchen und einen Koch: Sun She Fu (Großer Meister Sun). Sun She Fu kochte chinesisch für meine Eltern und westlich für uns, ich vergesse nie seinen köstlichen Schweinebraten mit kleinen Karotten und Kartoffeln in einer leichten Sahnesoße.
Meine begeisterte Mutter genoß die bunte urbane Straßenkultur und die urigen alten Häuser und Märkte, mein immer fleissiger Vater arbeitete als sehr erfolgreicher und bodenständiger WIssenschaftsreferent an der deutschen Botschaft und meine niedliche Schwester hatte ein glückliche Zeit mit ihren Freundinnen und ihrer Querflöte.
Manchmal besuchten uns unsere Onkel und Tanten, die Peking sehr liebten, wir lernten mit etwas chinesisch in sehr wackeligen und gefährlichen Taxis von Compound zu Compound zu fahren und hatten sogar Schwertkampf-Unterricht. Waren routiniert auf der chinesischen Mauer und der verbotenen Stadt unterwegs und ekelten uns sehr westlich aber auch mit der Zeit immer weniger über das Schnellfeuer-Gerotze der Einheimischen, die damit die bösen Geister aus ihrem Körper liessen. Im Kaufhaus teilte sich das Angebot ebenfalls in zwei Hälften: in der einen gab es vertraute westliche Lebensmittel, im anderen waren auch große Einmachgläser mit Skorpionen oder Heuschrecken zu entdecken. Für mich wie ein Horrorkabinett der lukullischen Genüsse. Einfach : “nope”. Für andere eine kulinarische Herausforderung. Wir waren Gäste - wohlhabende und interessante Gäste für die Chinesen, die uns über unser helles Haar strichen und darüber sehr erstaunt waren. Dennoch war klar: der ärmste Bettler war mehr wert als wir, denn er war Teil des chinesischen Reiches. Insgesamt war es eine sehr seltsame und prägende Zeit für mich, aber das kann gut an mir und meinen Teenagerhormenen gelegen haben. Am Ende unserer Zeit dort bekamen wir von der Botschaft eine Art Weltreise geschenkt. Es ging von China nach Deutschland in die USA und nach Hawaii.In den USA hatte ich eine glückliche, fröhlich “Mac 'n' Cheese” mampfende KIndheit verbracht und konnte es kaum erwarten zurückzukommen. In Deutschland besuchten wir erst unsere schon was ältere Tante Mimi, die Schwester von unserem lieben Onkel Rudi, der doch tatsächlich ein Mönch war, der sich zum Fasching gerne Frauenkleider anzog. Sie waren vor vielen Jahren als mein Vater noch klein war aus dem Sudetenland in Tschechien geflüchtet, was mir immer einen Bezug zu den heutigen Flüchtlingen gegeben hat, für den ich sehr dankbar bin. Tante MImi hatte einen alten blinden Dackel und als wir uns von ihr dann verabschiedeten, wollte ich ihm liebevoll übers Haupt streicheln. Er antwortete mir postwendend mit einem sehr schmerzhaften Biss in die Hand, die ich dann den Amerikaurlaub über in einem Glas Salzwasser halten durfte um den wie blasses Baumharz herausquellenden Eiter zu stillen. Danke und Shoutout an dieser Stelle an den Dackel. Jahre später hatte ich noch Angst vor Hunden, denn mein Gehirn rechnete stets die Verletzungsgeschichte immer mal die Größe des Hundes. In den USA angekommen besuchten wir Kai und Jamie, unsere Freunde dort, die zwei Söhne hatten mit denen ich immer gespielt hatte, mittlerweile ist einer von ihnen Soldat in Deutschland. Und schließlich kamen wir im Traumstaat Hawaii an. Palmen, Strand und Swimmingpool. Am Meer machte ich dort eine seltsame Entdeckung, es gab einen Strand der bis zur Hälfte mit Algen voll war und genau zur anderen Hälfte mit natürlichem, weissen, weichen Schaum. Bis heute ein unergründliche hawaiianisches Rätsel. Für sachdienliche Hinweise wäre die Redaktion dankbar - als Belohnung ist ein schlankmachender Hula-Hoop-Ring ausgesetzt. Im Hotelpool tauchte ich frohlockend in die Fluten und stellte in der Tiefe fest dass eine tote Ratte durchs Wasser trieb und schoß vor Ekel und Panik wie von der Nadel gestochen aus dem Wasser. Dem geneigten Leser wird spätestens her aufgefallen sein, wie mein Gedächtnis sich manchmal gut an Kleinigkeiten erinnern kann, aber Schwierigkeiten hat genaueres über die großen Dinge zu erzählen. Das liegt an der Phantasiebegabung, die einen mehr im Kopf und weniger in der Welt leben lässt und an der Empfindsamkeit, die einen eher emotionale Eindrücke abspeichern lässt. ' Dann gab es noch die Sache mit der Transsibirischen Eisenbahn. Nachdem wir einige Jahre zurück aus Peking waren und in Deutschland lebten, lud mich mein lieber Vater zu dieser ungewöhnlichen und besonderen Reise ein, mich, den späten Pubertisten. Die Reise ging von Moskau bis Peking über die Mongolei und wir bekamen wirklich interessante Landschaften zu sehen. Wir begegneten einer englischen Familie mit einer Tochter die ich mochte - gemeinsam aßen wir im Zug die verrücktesten Speisen und lachten. In Moskau und auf der Reise näherten sich mir, der zu der Zeit eher feminin aussah, jeweils ein Pädophiler. In Moskau war es ein weißbärtiger Weihnachtsmann, der mir sehr supekt deutsche Volksmusik auf seinem Hotelzimmer versprach, in der Transsib war es ein dekorierter chinesischen Offizier, der mich lüstern fragte ob ich eine Freundin hätte. Man wird die Ambivalenz die ich dieser Reise gegenüber hege, eventuell verstehen. Irgendwann kamen wir in Peking an und wohnten bei unseren ehemaligen Nachbarn, die nicht da waren, dafür aber Sonnuschka, ihre Katze. Wir waren Eindringinge in Groß-Sonnusch’ken Reich und wurden von Schränken von oben herunter urteilend beäugt. Ehrentitel : “Das Biest”. Nach einer Woche voller Nostalgie flogen wir zurück in die neue Heimat Deutschland. Ich hatte das zu der Zeit für mich ehrlicherweise eigentliche Ziel der Reise erreicht: mit meinern Freunden von damals in Peking feiern zu gehen. Im Allgemeinen kann ich China vom Erlebnis her nur empfehlen - aus der SIcht eines Erwachsenen, zumindest das China von damals in den Neunzigern mit seiner Kulturgeschichte, Bauten und chraraktervollen Menschen. Es ist krass, intensiv und der Begeisterung würdig. Aber der Teenager in mir ist froh. Er ist jetzt durch die Identität des Bassisten jetzt an guten Tagen eher einer der coolen. Und hat begriffen dass es diese Einteilung eigentlich garnicht gibt. Er hat gute Frauen in seinem Leben. Da hätte ich gerne eine Zeitmaschine um ihm das zu sagen. Er ist in einem weitesgehend sicheren und demokratischen Land mit 80 Prozent niedrigerem Rotzniederschlag. Aber was würde ich verdammt nochmal geben für Sun She Fu's Schweinebraten in leichter Sahnesoße mit kleinen Kartoffeln und Möhren. Xie, xie, Großer Meister. XIe, xie.
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