Es war in einer verregneten Herbstnacht, als ich die dunkle Straße inmitten der immer lebendigen Großstadt hinabging, am Park entlang und unter der rostigen Brücke hindurch.
Der Tag war schon seltsam begonnen, mit einem Kaffee, der in der Crema mysteriöse Zeichen aufwies, deren Bedeutung ich mir sicher nur einbildete und auch zu müde war um weiter über sie nachzudenken.
Ich zog den Reißverschluß meiner Jacke etwas fester zu, denn es war kalt und ich fühlte mich bei diesem Wetter nicht wohl, zu sehr schossen mir düstere Gedanken durch den Kopf und ich begann mich nach dem alten, abgewetzten Sessel meines Großvaters zu sehnen, der wohl das heruntergekommenste und doch mir liebste Einrichtungsgegenstand in meiner bescheidenen Junggesellenwohnung war.
Wie dem auch sei, als ich den versmogten, von schwarzen Wolken verhangenen Himmel betrachtete, blieb ich kurz stehen und hörte auf auf mein Umfeld zu achten, das aus einer menschenleeren Straße unter besagten rostigen Brücke bestand und stellte fest, dass ich mich in meinem Leben verrannt hatte und dringend Veränderung brauchte. So müde und lahm wie ich geworden war, war ich nicht glücklich. Und darum ging es doch im Leben, glücklich zu sein, zumindest meistens.
Ich seufzte - oder stöhnte? - kurz auf und machte mich dann auf den Weg unter die eiserne Unterführung als ich einen unangenehmen Geruch vernahm.
Ihn nicht einordnen könnend lugte ich ins Dunkel was mich dort wohl erwarten würde, jenseits der Straßenlaternen und ging vorsichtig und skeptisch weiter.
Zu meinem Schrecken bahnte sich aus der Schwärze ein große unförmige Gestalt, etwas Schweres hinter sich herziehend. Sie wurde, näherkommend, schwach beleuchtet und ich sah ein zutiefst hässliches Gesicht, viel zu viel Muskeln unter dem Fett, zerfetzte Kleidung -
und eine mit Nägeln durchschlagene Keule.
So von Furcht ergriffen ich war, so kannte ich diese Gestalt. Sie war mir schon oft begegnet, über Jahrzehnte hinweg und ich hatte sie nie abwehren können. Jederzeit konnte sie zuschlagen und jedes Mal hatte ich verloren und war blutend und zertrümmert zurückgeblieben. Aber dass sie sich hier in der Straße zeigte war etwas das mich mit Entsetzen füllte.
"Du gehörst nicht hierhin!!" schrie ich ihm entgegen, während sein Maul sich zu einem abscheulichen Grinsen verzog.
Ich weiss bis heute nicht ob der Kaffee am Morgen mir tatsächlich etwas hatte sagen wollen, aber ich weiss dass ich am Ende eines langen Weges angekommen war.
Jetzt war der Zeitpunkt mich diesem Wesen zu stellen, es ein für alle Mal in die Schranken zu weisen, es zu vernichten. Es für immer aus meinem Leben und meinem Kopf, meiner Seele und meinem Herzen zu vertreiben.
Gerade als ich den Höhepunkt meiner Furcht erreicht hatte, hatte es sich behende wie eine Katze an mich heranmanövriert und griff mit seiner vernarbten Klaue nach mir. Ich wusste was jetzt passieren würde und überlegte was ich dieses Mal, dieses eine verdammte Mal anders tun könnte, um meinem Schicksal zu entgehen.
Aber dann geschah etwas Unerwartetes. Ich sah eine helle Gestalt, nicht besonders groß oder klein, wie sie sich uns näherte.
Sie schien weiblich zu sein und mit großer Sorge hatte ich das Bild vor Augen, was die Kreatur ihr antun könnte.
Ich rief "Halten Sie Abstand!" mit krächzender Stimme doch es war zu spät, das Ungetüm hatte sich umgedreht und starrte sie hasserfüllt an, da sie den Ablauf völlig durcheinanderbrachte.
Ich sah, dass sie schön war. Ich sah ihre Anmut und ihre Kraft. Ich sah Hoffnung. Ich sah Zuneigung. Alles in einer sehr kurzen Zeit.
Das Monster schlug nach ihr und sie wurde getroffen. Ich konnte es nicht glauben, wieso konnte ich nichts tun, dieses Verbrechen nicht aufhalten.
Sie taumelte und schaute mich an, mit verletztem Blick.
Ich verstand nicht.
Sie war nicht mehr ruhig und rief: "Ich kann Ihnen nicht helfen!" Das wusste ich, es war nicht ihr Kampf. Doch so kurz die Begegnung war, ich wollte nicht dass sie wieder ging. Ich hatte so jemanden noch nicht getroffen und wusste nicht ob ich es jemals wieder tun würde.
Sie schaute uns beide an. Mich und das Wesen. Und rief wieder "Ich kann Ihnen nicht helfen!"
Das verstand ich nicht, wen meinte sie?
Das Monster drehte sich zu mir um und ich war komplett überrascht von der Veränderung in seinem Gesicht. Die Warzen verschwanden, die Narben verblichen. Die Haare wuchsen zurück und ich sah: das war mein Gesicht. Das war mein Körper. Und das war meine Keule.
Die Kreatur war weg. Es standen sich zwei von mir gegenüber.
Und die Frau drehte sich um und ging.
Ich und der andere schauten uns an und auch wenn wir uns viel Schaden zugefügt hatten schienen wir beide etwas für dieses Wesen zu empfinden.
Bevor sie völlig verschwunden war, ergriff ich das Wort. Ich redete viel und schnell und ich weiss nicht wie viel Zeit verging, oder was ich sagte aber am Ende lächelte sie.
"Wie heißen Sie?" fragte ich schließlich und sie antwortete: "Ich bin namenlos aber Sie können mich Lady Hooligan nennen". Verwundert fragte ich was das bedeuten würde. Doch ich wusste was gemeint war. Sie war ein Dame und doch eine Kriegerin. Mit Würde, Kraft und Stil.
Eine von wenigen ihrer Art. Besonders. Und einfach wunderbar.
Wie kam es, dass ich sie in dieser Nacht traf und sie das Ungeheuer verwandelte, fragen SIe? Das gehört zu den Dingen, von denen ich keine Ahnung habe.
Aber bevor ich mich weiter mit ihr unterhalten konnte, drehte sie sich um und verliess mich, jedoch nicht ohne mir etwas dazulassen. Sie hob die Nagelkeule auf, die sie verletzt hatte gab sie mir und sagte:
"Sie haben etwas im Kopf, was nicht in Ordnung ist. Der Oger sind Sie, Sie sind der Oger. Deswegen werde ich gehen. Ihr werdet euch früher oder später wieder zurück in eure Gestalten verwandeln und ich komme nicht dagegen an. Aber ich werde in der Nähe bleiben."
"Ich werde kämpfen. Ich werde nicht aufgeben, bis dieser Kampf vorbei ist. Und ich werde Ihnen zeigen, dass ich kein Ungeheuer bin."
"Das weiss ich." lächelte sie und verschwand in der Dunkelheit.
Der andere war ebenfalls verschwunden und ich blieb alleine mit der Keule zurück.
Machte mich ungestört auf den Heimweg, setzte mich in den alten abgewetzten Ledersessel und dachte nach. Und dachte weiter nach. Ging schlafen.
Und stand am nächsten Tag auf, um den immerwährenden Kampf gegen mich selber weiterzukämpfen.
Doch seitdem ist immer ein schwaches Leuchten in meinem Augenwinkel. Wenn ich mein Auge dahin bewege ist es nicht greifbar, aber es ist immer da.
Ich weiss nicht ob ich es schaffen werde und meinen Frieden finden werde.
Ich weiss nicht ob ich aus diesem Leben heil herauskomme.
Aber ich habe Lady Hooligan im Herzen.
In den einsamen Straßen der Großstadt.
Unter den Laternen, die gelbes Licht verströmen wie eine schwache Enschuldigung.
Jenseits der rostigen Brücke, wo mein anderes Ich wohnt.
Heute gehe ich wieder hin.
Kommen Sie mit?
Wenn Sie grad meine Nagelkeule halten,
mache ich uns
einen Kaffee.
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